Der glitzernde Ring an Eva Weyls linker Hand ist mehr als ein Schmuckstück. Als die Niederländerin im Januar 1942 mit ihren Eltern ins Lager Westerbork gehen musste, vernähte ihre Mutter die restlichen Diamanten in den Knöpfen. Dort, wo die Nazis sie nicht finden konnten. Ebenso wie der Mantel gegen die bittere Kälte überlebte auch die heute 79-jährige Jüdin die Grausamkeiten der Deutschen.

Zehn Jahre nach Kriegsende ließ Ihre Mutter aus den Diamanten einen Ring anfertigen, den gestern die Schüler des Gymnasiums Voerde bei Weyls Vortrag sahen. Es ist pures Glück, dass die Niederländerin heute noch lebt und gegen das Vergessen kämpft.

Bis zum 20. Januar 1945, als die Kanadier das Lager auflösten, wurden von dort aus 107 000 Juden nach Auschwitz deportiert. Nur 5000 überlebten. Bei der Befreiung lebten bloß noch 870 Menschen in dem 500-Quadratmeter-Dorf.

Es war grausam, dort zu sein“, sagt Eva Weyl, die dreimal der Deportation durch Zufälle entkam. Mal strich ein Freund den Namen von der Liste, mal geriet das Lager unter Beschuss und der Zug auf dem „Boulevard des Elends” fuhr nicht.

In Erkelenz besaß die Familie ein Kaufhaus, das mit Beginn von Hitlers todessüchtiger Herrschaft diffamiert wurde. Schilder warnten Deutsche davor, dort einzukaufen, schon bald floss kein Geld mehr. lhr Vater hatte einen Job in Kleve gefunden, aber die Reichspogromnacht führte ihm vor Augen, wie ausweglos die Lage war. Die Flucht in die vermeintlich neutralen Niederlande, nach Arnhem, gelang. Indessen spitzte sich die Lage zu, Stempel und gelbe Sterne kennzeichneten die Juden, deren Leben durch die Nürnberger Gesetze radikal eingeschränkt wurde. Das letzte Schulfoto aus dem Jahre 1942 zeigt eine glückliche Eva Weyl. Danach gibt es kein Bild mehr.

Am 20. Januar 1942 fand die Wannseekonferenz statt. Jenes Treffen, dass Weyl als den Unterschied zu anderen Kriegen festmacht. Bei einem Glas Cognac über das Leben von 11 Millionen Juden zu entscheiden, das habe es nur einmal gegeben. Die sogenannte Endlösung der 15 Männer läutete die fast widerstandslose Rassenverfolgung ein, die sich tief in das Gewissen der Menschen bohrte. Ein Brief forderte die Familie auf, sich in Westerbork einzufinden. „Es war Januar, es war eiskalt“, beschreibt Weyl, die fortan mit hundert anderen in einer Baracke hauste. Harte Strohmatten, „Gemüse wie Stacheldraht”, meterhohe Zäune bestimmten ihr Leben. Immerhin gab es eine Schule und ein Krankenhaus, sogar ein Kabarett mit berühmten jüdischen Schauspielern aus Berlin. Auf den Plätzen spielten die Kinder, die Erwachsenen arbeiteten in der Wäscherei oder auf dem Feld. Ständig verschwand jemand. Die Menschen wussten lediglich wohin.

Weyl: „Keiner wusste, was im Osten geschah. Es gab verborgene Radios, aber esgab keinen, der esgeglaubt hat. Die, die es geglaubt haben und auf den Listen standen, haben Selbstmord begangen.” Ihr Vater wurde in die Administration beordert, wo er die Identität der Gefangenen überprüfen sollte. Manche konnte er befreien, andere nicht. Noch Jahrzehnte später traf Weyl Menschen, die sie anklagten, weil Familienangehörige durch ihren Vater getötet worden seien. Andere bedankten sich für die Rettung. Die Geschichte lässt die in Amsterdam wohnhafte Überlebende nicht los. Sie selbst hatte Glück, verlor niemanden aus ihrer Familie. „Darum bin ich hier: Gegen das Vergessen. Damit so was nicht mehr passieren kann, brauche ich eure Hilfe“, appellierte Eva Weyl an die Schüler, „Ihr seid nicht schuld, aber ihr seid verantwortlich für das, was ihr daraus macht. Denn die Gefahr ist nur solange gebannt, wie die Menschen diese Geschichte nicht vergessen.”

Artikel aus der NRZ vom 3.9.2014