Der Sieger des GV Poetry Slams 2016: Jan Krüssmann.

Am vergangenen Donnerstag zog der moderne Dichterwettstreit am GV wieder ein großes Publikum in die Schule. Insgesamt zehn Beiträge von erfahrenen und Nachwuchspoeten, von denen zwei außer Konkurrenz liefen, boten den Besuchern feinste Unterhaltung. Der Siegertitel beginnt als unnachgiebige Religionskritik und endet mit einem Aufruf zu Toleranz.

Die Moderation des Abends übernahmen Armin Sawicki und Sebastian Deutsch. Ersterer bestieg im Jahr 2013 selbst das Siegertreppchen des Poetry Slams am Gymnasium Voerde, verließ dann die Schule, studiert heute in Düsseldorf und treibt sich als erfolgreicher Slammer auf den größeren und kleineren Bühnen des Landes herum. Sebastian Deutsch ist Englisch- und Geschichtslehrer am Gymnasium Voerde. 2014 nahm er selbst am Poetry Slam teil und belegte mit einem an Gott gerichteten Beschwerdebrief, in dem er sich nach seinem Tod um ein „Downgrade in die Hölle“ bewarb, den dritten Platz. Die Funktion des Moderators übernahm er in diesem Jahr zum zweiten Mal.

Der erfahrene Slammer Sawicki stand dann als „Opferlamm“ selbst auf der Bühne, also mit einem Auftritt außer Wertung, vor allem um den anderen Teilnehmer die Nervosität zu nehmen und zum „Eingrooven“ des Publikums, wie der Poet es ausdrückt. Sein Text „Von Vögeln, die in Käfigen sitzen“ enthält eine gehörige Portion Medien- aber auch Selbstkritik eines lyrischen Ichs, das sich Katzenvideos im Internet anschaut, während in den Nachrichten über Krieg und Terror berichtet wird. Während woanders Flüchtlingsheime brennen, bleibt das politische Engagement des lyrischen Ichs ein frommer Wunsch: „Bis ich mein inneres Feuer entzünden kann, zünde ich meine Fürze an.“

Der unbeliebte Startplatz Nr.1 innerhalb der Wertung wurde der Oberstufenschülerin Medina Serifi zugelost. Ihr autobiographisch gefärbter Text „American Dream“ handelt von einem lyrischen Ich, das sich erfolgreich um ein Stipendium für ein Auslandsjahr in den USA bewirbt. In bewegenden Worten beschreibt die Poetin den Abschied von der eigenen Familie, den sich das lyrische Ich versucht einfach zu machen, indem es ihn kurz hält. „Möglichst wenig Blickkontakt“, befiehlt es sich selbst. In euphorischen Worten beschreibt die Autorin sodann ihren Aufenthalt in San Francisco, so bildlich, dass es zu den Zuhörern leichtfällt, sich den „wunderschönen Sonnenuntergang an der Golden Gate Bridge“ vorzustellen. Doch dann die Auflösung: Auch für das lyrische Ich existiert dieser Sonnenuntergang nur in der Vorstellung. Den Abschied von Familien und Freunden hat es nicht über’s Herz gebracht. So wird aus der Hommage an die Metropole Kaliforniens am Ende eine Hommage an die Familie.

Anja Bachmann, Lehrerin für Deutsch und Philosophie, hat den Poetry Slam am Gymnasium Voerde organisiert und die Schüler in mehreren Workshops auf ihren Auftritt vorbereitet. Mit ihrem Text „Was der Held auf der Leinwand sah“ stellte sie sich auch selbst der Wertung des Publikums. Es gehe in ihrem Text jedoch „nicht um einen Kinohelden, sondern um einen Maler“, wie die Poetin ihrem Text als Erklärung vorausschickte. Dieser nimmt das Publikum mit auf die Reise in die Gedankenwelt eines empfindsamen und gleichsam zweifelnden Künstlers, der von einer im Morgenrot schimmernden Parkbank inspiriert wird.

Mit Startplatz Nummer drei betrat Sara Müller die Bühne. Ihr Text handele vom „Individualismus“, begann die Autorin ihren Vortrag, der dann zunächst ein vermeintliches Aussterben der Individualität beklagte. „Jeder hört die selbe scheiß Musik, da hört man doch keinen Unterschied mehr“ und „Charakter, was ist das? Heute achtet doch jeder nur auf’s Äußere!“. Die Angst vor der eigenen Individualität verleite Menschen dazu, sich hinter der Masse zu verstecken. „Sei, wie du bist“, lautete daher die Aufforderung der Poetin, die frei nach Klaus Wowereit mit den Worten schloss „Ich bin anders, und das ist auch gut so.“

Der letzte Auftritt vor der Pause gebührte Judy Beckmann, die in ihrem Text „Drei Typen von Menschen“ beschreibt. Der erste sei „der Hinterlistige“, der sich selbst als Opfer darstelle, um bemitleidet zu werden. Der zweite sei „der Schwierige“, der deshalb schwierig sei, weil er um nichts auf der Welt von seiner Meinung abgebracht werden könne. Der dritte Menschentyp sei „Der Plagiateur“, der sich zwar selbst für individuell halte, aber keine eigene Meinung habe und nur die Meinung anderer kopiere. Der Text, der scheinbar überheblich beginnt, endet selbstkritisch, wenn das lyrische Ich seinen eigenen Typ als „Der Frustrierte“ beschreibt, der andere in „selbstbenannte Typen“ stecke, die er dann analysiere, um von den eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken.

Zweites „Opferlamm“ nach der Pause war Christine Holland, die diese Funktion bereits 2015 ausfüllte. „Ich bin 19, hab ‘ne eigene Wohnung und studier’ was halbwegs Sinnvolles“, stellte sich die Autorin dem Publikum vor: „Man könnte sagen: Ich bin so halbwegs erwachsen“. Ihrem Text aber gab die Poetin den Titel „Ich fühl mich wie ein Kind“. Er handelt von einem lyrischen Ich, das die Frage nach dem Warum der Unmenschlichkeit der Welt stellt und Profitgier, Fremdenfeindlichkeit, Zerstörungswut und Respektlosigkeit nicht verstehen kann. Hierbei geht es natürlich nicht um Naivität, sondern darum, es einfach nicht zu akzeptieren, wenn „die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt“.

Xenia Schefer lieferte den ersten Text innerhalb der Wertung nach der Pause. Dieser begann mit dem berühmten Anfangsmotiv aus Beethovens Fünfter Symphonie, den die Poetin, die zwei Tage zuvor noch mit einem Klaviersolo beim Weihnachtskonzert überzeugte, mangels Instrument mit „Da da da daaa“ zitierte. Im weiteren Verlauf weitet sich der Text zu einer großen Hommage an die klassische Musik unter gleichzeitiger Kritik an Charts, Schlagern und so weiter aus: „Mozarts ‘Fantasie’ – einfach phantastisch!“, schließt der Text.

Celina Langes Text „Ich bin ein stilles Wasser“ spricht ein lyrisches Ich, das sich selbst als ‘Couch-Potato’ bezeichnet, das viel liest. Zunächst zergeht dieses lyrische Ich in Selbstmitleid, kritisiert an sich selbst, antriebslos zu sein, findet dann aber doch auch die liebenswürdigen Seiten an der eigenen Persönlichkeit: „Ich kann ziemlich gut zeichnen“ und „mein Kuchen schmeckt wie Schokogasmus“. Die Zuhörer dürfen ihren Text wohl als Aufforderung verstehen, die eigene Persönlichkeit zu lieben, auch wenn sie von anderen als „stilles Wasser“ wahrgenommen werden. Denn: „Stille Wasser sind tief“. Mit dieser Feststellung landete sie am Ende auf Platz drei der Publikumswertung.

Den zweiten Platz des Abends belegte das „Duo Infernale“, wie Moderator Sebastian Deutsch das Zweigespann Rouven Butzke und Nico Timmbezeichnete. „Wir haben uns alleine nicht getraut“, erklären die beiden ihren gemeinsamen Auftritt und bestellen noch schnell „Grüße an Mutti“. Dabei ist der Doppelauftritt natürlich vor allem inhaltlich begründet. „Das Reh und der Jäger“ bzw. „Der Jäger und das Reh“ heißen die beiden Texte. Der Plot ist jeweils schnell erklärt: Ein Reh wird von einem Jäger erschossen. Der von Rouven Butzke dargebotene erste Text stellt diese Szene in einem Stück persiflierter Naturlyrik aus der Sicht des Rehs dar, das von dem Todesschuss aus seiner heiteren Welt gerissen wird. Den Contra-Part übernahm Nico Timm, der in Anspielung auf Johann Wolfgang von Goethe den Jäger sagen lässt „Und bist du nicht willig, so brauche ich Gewalt“. und ebenso wie bei Goethe Interpretationen in Richtung sexueller Gewalt nicht ausgeschlossen werden, so spielt Timm in seinem Text mit pornographischen Anspielungen, die wohl nicht zufällig sein dürften.

Der Siegertext stammte am Ende von Jan Krüssmann. Dieser hatte bereits 2015 mit seinem Text „Bedetungslos“ einen beachtlichen Auftritt hingelegt. Mit seinem diesjährigen Text „Gott ist ein Psychopath“ übertraf er sich in diesem Jahr aber selbst. Untertitel des Werks: „Und wir sind auch noch Schuld daran“. In Anspielung auf die Projektionstheorie Ludwig Feuerbachs geht er davon aus, dass der Mensch „Gott nach seinem Bilde“ geschaffen habe. Und dieser habe nun mal „ein paar krumme Eigenschaften“, und wenn diese von jedem in die Gottesvorstellung eingebracht werden, „dann staut sich da in 2000 Jahren echt was auf“. Herausgekommen sei dabei ein Gottesbild, das jede Vorstellung von Demokratie, Freiheit, Gleichheit und Mündigkeit verhöhne. Zur Illustration zitiert der Poet aus dem fünften Buch Mose, in dem zur Steinigung „widerspenstiger und ungehorsamer“ Söhne aufgerufen wird.

Was als große Religionskritik vor allem an der christlichen Religion beginnt, endet am Ende mit einem Aufruf zur Toleranz: Wenn Christen trotz solcher und anderer recht übler Stellen in ihrer heiligen Schrift, die offen zu Gewalt aufrufen, trotzdem „nicht alle Unterdrücker und Vergewaltiger“ sind, so sollte man doch annehmen dürfen, dass dies auch auf Angehörige anderer Religionen zutreffe.