Schüler des Geschichts- und Sowi-Leistungskurses (Q2) nach dem Rollenspiel.

Auf einmal bleibt Olaf Fabian-Knöpges stehen. Vor ihm: Alexander, Schüler des Geschichts-LKs am Gymnasium Voerde. „Vortreten, vorstellen!“, herrscht Fabian-Knöpges Alexander an.

Der Schüler tritt einen Schritt nach vorne: „Alexander Richter, Herr Hauptsturmführer“ „Hast Du Musik in der Schule?“ „Jawohl, Herr Hauptsturmführer“ Nach einem kurzen Gespräch über den Musikunterricht fordert Fabian-Knöpges ihn auf, er möge doch ein schönes deutsches Kinderlied singen. „’Alle meine Entchen’ finde ich schön. Los, vorsingen!“ „Jetzt hier?“ Alexander schaut entgeistert. „Jetzt! Hier! Los, vorsingen!“, wiederholt Fabian-Knöpges, während er sich ungeduldig mit einem Schlagstock auf die Handinnenfläche schlägt.

Alle meine Entchen…“, singt Alexander zaghaft. „Zurücktreten“, bellt Fabian-Knöpges, als Alexander fertig ist, geht zwei Schritte weiter und baut sich vor einem Mitschüler von Alexander auf. Erneut das Kommando: „Vortreten, vorstellen!“ „Joel Heling, Herr Hauptsturmführer“. „Wie war der Gesang?“. „Der Gesang war schlecht!“, antwortet Joel, ohne Fabian-Knöpges anzuschauen. „Der Gesang war richtig scheiße!“, bekräftigt Fabian-Knöpges. „Zurücktreten!“

Fabian Knöpges nimmt wieder vor Alexander Aufstellung. Erneut heißt es: „Vortreten, vorstellen!“, „Vorsingen!“ und „Zurücktreten!“. Nach und nach erkennen immer mehr, dass Alexanders Schicksal bereits mit dem ersten „Vortreten, vorstellen!“ besiegelt war. Alexander gehorcht zwar und singt, aber er singt leider immer noch scheiße – oder singt er inzwischen besser? – scheißegal, da das Urteil von Fabian-Knöpges eh feststeht. Nach einer weiteren Gesangseinlage von Alexander versucht Max seinem Mitschüler zu helfen.

Der Gesang war gut“, behauptet er. „Aha, der Gesang war gut?!“ Fabian-Knöpges zieht die Augenbrauen hoch. „Möchtest Du vorsingen?“ „Der Gesang war scheiße“, korrigiert sich Max. Was die Schülerinnen und Schüler der Leistungskurse Geschichte und Sozialwissenschaften an diesem Vormittag erleben, ist Teil eines historischen Rollenspiels mit dem makabren Namen „Gefrierfleischorden 1942“. Olaf Fabian-Knöpges, Museumspädagoge, geht es darum, den Schülern zu zeigen, inwiefern Machtmechanismen der Vergangenheit auch heute noch funktionieren würden. „Es war ein bedrückendes Gefühl, da schnell ein ‘Bitte-nicht-ich-Gefühl’ bei mir entstand“, reflektiert Timo.

Das Vorsingen von Kinderliedern ist dabei nur ein Teil von zahlreichen Schikanen wie Strammstehen, das Alphabet rückwärts aufsagen oder Liegestütze machen. „Gerade der enorme Druck, welcher auf uns Schüler ausgewirkt wurde, war sehr schwer zu verkraften und zu verstehen.“, resümiert Malte. „Es war erschreckend, dass man lieber Freunde in die Scheiße geritten hat, als sich selbst.“, ergänzt Marc.

Ob die Schüler nicht daran gedacht haben, das Spiel zu quittieren? Zwar steigen drei Schüler während der Simulation aus, der Rest jedoch bleibt und gehorcht.

„Sänger“ Alexander wundert sich selbst: „Als ich in der Rolle des Zwangsarbeiters eine Demütigung durch den Hauptsturmführer einstecken musste, war ich kurz davor das Projekt abzubrechen, allerdings habe ich diese Demütigung trotzdem weiterhin über mich ergehen lassen, was mich schließlich verwunderte.“

Zurück bleibt bei vielen Schülern das Gefühl, dass das Rollenspiel eine Erfahrung war, die man mal gemacht haben müsse.